Grenzen überwinden,

    Kinder schützen,

Familien verbinden.

ISS im Europarat

Kurz vorgestellt: Die Arbeitsgruppe  „Incapable Adults“ des Europarates; 

Sitzung vom 03. – 05.09.2008 in Straßburg

Im  Herbst  2006  hat  die  Familienrechtskommission  des  Europarates  eine  Arbeitsgruppe einberufen, um ein neues Instrument zum Erwachsenschutz zu erarbeiten. Die Arbeitsgruppe “Incapable  Adults”  des  Europarates  befasst  sich  mit  der  Frage,  wie  mit  Erwachsenen umgegangen werden sollte, die aus verschiedenen Gründen zeitweise oder dauerhauft nicht ohne fremde Hilfe handlungsfähig sind und traf sich zuletzt im September 2008. Das Gremium setzt  sich  aus  internationalen  Rechtsexperten  zusammen,  die regierungs- unabhängig  in  der Arbeitsgruppe agieren.Der Gesamtverband des International Social Service hat Beobachterstatus beim Europarat und wurde wegen seiner praktischen Erfahrungen im länderübegreifenden Erwachsenenschutz in die  Arbeitsgruppe  als  Beobachter  ohne  Stimmrecht  berufen.  Die  deutsche  Zweigstelle,  der Internationale  Sozialdienst  im  Deutschen  Verein,  vertritt  den  Gesamtverband  traditionell  im Europarat.

Die Arbeitsgruppe tagte erstmalig im September 2007 und hat sich seitdem drei Mal getroffen und hat für den Europarat eine Empfehlung  zur“Vorsorge-vollmacht” (continuing powers of attorney) und “Vorsorgeverfügung” (advanced directives) entworfen. Beiden Instrumenten ist gemein, dass ein entscheidungs- fähiger Erwachsener selbstständig Vorsorge treffen kann, was im  Falle  einer  zukünftigten  Entscheidungsunfähikgeit  mit  ihm/ihr  passieren  soll  und  diese Entscheidung nicht dem Staat überlassen wird. Sinn und Zweck dieser Instrumente ist es, das Recht auf Selbstbestimmung von entscheidungsunfähigen Erwachsenen zu stärken.  Gemäß  der  Empfehlung  wird  eine Vorsorge- vollmacht  von  einem  entscheidungsfähige Erwachsenen mit dem Zweck erteilt, dass im Fall einer zukünftigen Entscheidungsunfähgikeit ein Bevollmächtigter verbindlich für den Erwachsenen handeln kann. Eine Vorsorgever- fügung wird ebenfalls von einem entscheidungsfähigen Erwachsenen für den Fall des Verlustes der Entscheidungsfähigkeit  erteilt.  Im  Unterschied  zur  Vorsorge- vollmacht  werden  jedoch  keine Handlungsvollmachten  erteilt,  sondern  es  werden  Wünsche  und  Weisungen  für  bestimmte Situationen, die während des Verlustes der Entscheidungs- fähigkeit auftreten, festgeschrieben. Die in Deutschland bekannteste Form der Vorsorgever- fügung ist die Patienten- verfügung.

Die Empfehlung soll die “Recommendation on Principles Concerning the Legal Protection of Incapable Adults”des Europarats von 19991  ergänzen. Sie formuliert Grundsätze (principles), die  den  Staaten  Anstoß  und  Richtschnur  für  die  Einführung  oder  Verbesserung  der  oben genannten Instrumente sein sollen. Zur Empfehlung wird ein begleitender Bericht erstellt, der die einzelnen Grundsätze erläutert (Explanatory Report). Die Empfehlung wird auf englisch und französisch verfasst.

Der Internationale Sozialdienst hat im Rahmen der Diskussion wiederholt die Wichtigkeit einer Empfehlung für die Staaten Osteuropas betont. In vielen dieser Staaten wird erst langsam das Recht  auf  Selbstbestimmung  für entscheidungs- unfähige, schutzbedürftige  Erwachsene anerkannt. Gerade in diesen Staaten kann die Empfehlung als Richtschnur für die Einführung der  Vorsorgevollmacht  und  Vorsorgeverfügung  zur  Verwirklichung  des  Rechts  auf  Selbstbe- stimmung von schutzbedürftigen Erwachsenen dienen.

Im Nachgang zur Mai–Sitzung 2008 sandte die Arbeitsgruppe den Mitglied- staaten einen ersten Empfehlungsentwurf  und  eine  Rohfassung  des  Explanatory  Reports  zur  Kenntnis  und Kommentierung. Des Weiteren wurden beide Dokumente auf die website des Europarates mit der Möglichkeit der Kommentierung von Interessierten eingestellt. Beide Dokumente befassten sich ausführlich mit der Vorsorgevollmacht und enthielten erste Vorschläge für Grundsätze und Erläuterungen zur Vorsorgeverfügung.

Auf der diesjährigen September–Sitzung wurden die eingegangen Kommentare ausgewertet und diskutiert. Die Kommentare zeigten, dass insbesondere der begleitende Bericht für Staaten, denen  das  Konzept  der  Vorsorgevollmacht  und  der  Vorsorgeverfügung  noch  neu  ist, missverständlich ist. Als Ergebnis der Diskussionen ergänzte die Arbeitsgruppe den begleitenden Bericht um eine

Erklärung zur Person des Vorsorgebevollmächtigten (wer kann diese Aufgabe übernehmen). Des  Weiteren  wurden  im  Bericht  die  Sätze  verkürzt  um  für  Nichtmuttersprachler  englisch/ frnazösisch  den  Inhalt  verständlicher  zu  machen.  Zusätzlich  wurden  Fallbeispiele  in  den begleitenden  Bericht  aufgenommen,  um  die  Grundsätze  plastischer  zu  machen  (so  zum möglichen Inhalt und zur Beendigung der Vorsorgevollmacht).  In  der  Empfehlung  wurden  die  Einführung  eines  eines  staatlichen  Kontrollsystems  bei  der Vorsorgevollmacht angeregt. Es wurden Grundsätze zu Widerruf (Grundsatz 6), Zertifizierung, Registrierung  und  Notifizierung  (Grundsatz  8)  und  Überwachung  (Grundsatz  12)  in  die Empfehlung aufgenommen.  

Auf  der  Sitzung  wurden  ebenfalls  die  Grundsätze  zur  Vorsorgeverfügung  abschließend ausgearbeitet. Eine Vorsorgeverfügung kann im Rahmen der Empfehlung alle Bereiche des Lebens umfassen und ist nicht auf medizinische Belange reduziert.

Die Arbeitsgruppe trifft sich nochmals vom 3. - 5. Dezember 2008 um eine endgültige Fassung des begleitenden Berichts zu erstellen. 

Der Entwurf der Empfehlung soll in seiner jetzigen Fassung, von redaktionellen Änderungen abgesehen,  mit  dem  begleitenden  Bericht  der Familienrechts- kommission  im  März  2009 vorgelegt werden.

Der aktuelle Entwurf der Empfehlung sowie der begleitende Bericht kann in Kürze auf der website des Europarates abgerufen werden. (http://www.coe.int unter: Legal Affairs/ Family Law and children’s rights)  

Ulrike Schwarz, Internationaler Sozialdienst

(erschienen im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins: NDV 12/2008, S.529)