Das Haager Abkommen zum Erwachsenenschutz
Eine Vorstellung
Fall 1
Ein türkischer Erwachsener steht in Deutschland unter Betreuung. Die Betreuung umfasst Gesundheitsfürsorge, Aufenthalt und Vermögen. Der Erwachsene verlässt ohne Wissen seines Betreuers Deutschland und wird in Frankreich von der Polizei aufgegriffen.
Fall 2
Ein unter Betreuung stehender Erwachsener hat Eigentum in Schottland. Sein Betreuer will vor Ort das Eigentum des Betreuten verkaufen.
In Zeiten zunehmender Mobilität einerseits und des demographischen Wandels andererseits rückt das Thema „schutzbedürftige Erwachsene“ in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Immer mehr Menschen verziehen im Alter ins Ausland. Zum Teil werden sie dort pflegebedürftig, zum Teil wollen sie von dort bereits lebenden Verwandten betreut werden, anstatt in einer Pflegeeinrichtung zu leben. ISS Germany ist in solchen Fällen häufig Anlaufstelle für Betreuer, Angehörige oder betroffene Behörden. Es stellt sich die Frage, wer im Ausland handlungsberechtigt ist, ob eine im Inland eingerichtete Betreuung im Ausland weiterbesteht, und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Des Weiteren, ob und in wie weit nationales Betreuungsrecht im Ausland möglicherweise weiter gilt. Nach Rücksprache mit allen Beteiligten im In – und Ausland kann im jeweiligen Einzelfall eine Antwort auf die dringendsten Fragen gegeben werden. Dabei ist jeder Fall einzigartig, eine allgemein verbindliche Antwort gibt es nicht. Denn es gibt bisher keine einheitlichen internationalen Regelungen für diese länderübergreifenden Fälle. Es hängt an der Kreativität der einzelnen Betreuer und Betreuerinnen und/ oder der Familienangehörigen einerseits, sowie der Bereitschaft und dem Verständnis von staatlichen Institutionen andererseits, wie die mit dem Grenzübertritt entstehenden Probleme gemeistert werden.
Das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen beendet diesen unsicheren Zustand und schafft ein umfassendes Schutzsystem. Es tritt am 1. Januar 2009 in Kraft. Durch das Übereinkommen wird für internationale Fallkonstellationen mit schutzbedürftigen Personen ab 18 Jahren ein einheitlicher rechtlicher Rahmen geschaffen. Das Überein-kommen legt staatliche Zuständigkeiten sowie Verfahrensstandards zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen fest und ermöglicht die Ausstellung einer international gültigen Bescheinigung zur Betreuung eines schutzbedürftigen Erwachsenen. Des Weiteren wird das System der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit institutionalisiert.
Nach dem Übereinkommen würde in Fall 1 Frankreich entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen und die - im Sinne des Übereinkommens - zuständigen deutschen Behörden entsprechend informieren. Die Schutzmaßnahmen in Frankreich blieben dabei so lange in Kraft, bis die deutschen Stellen eine Entscheidung über weitere Maßnahmen getroffen hätten.
Während bislang einheitliche Zuständigkeitsregelungen fehlen, ist nach dem Übereinkommen ein Staat, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des schutzbedürftigen Erwachsenen, regelmäßig zuständig, wenn der Schutzbedürftige seinen Lebensmittelpunkt dort begründet hat („gewöhnlicher Aufenthalt“). Dabei gelten die gesetzlichen Regelungen des zuständigen Staates. Ausgenommen ist der Fall, dass der schutzbedürftige Erwachsene in einem anderen Vertragsstaat aufgegriffen wird. In diesem Fall kann nach dort geltendem Recht eine vorübergehende Schutzmaßnahme ergriffen werden. Diese endet, sobald der Staat des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ wieder tätig wird.
Im Fall 2 könnte der Betreuer sich gemäß Artikel 38 des Übereinkommens in Deutschland eine Bescheinigung ausstellen lassen, die ihn zum Handeln in Schottland berechtigt. Diese Bescheinigung wäre in Schottland anzuerkennen. Um in der Praxis ein effektiv funktionierendes Schutzsystem zu gewährleisten, sieht das Übereinkommen in den Vertragsstaaten zentrale Behörden vor, die das länderübergreifende Handeln koordinieren. Die Zentralen Behörden können dabei auf bestehende Erfahrungen von Fachstellen wie dem Internationalen Sozialdienst zurück greifen. Obwohl die Notwendigkeit eines solchen Übereinkommens allseits anerkannt ist, ist es noch nicht in Kraft: Vereinbarungen zum Kinderschutz hatten für viele Staaten Priorität. Nun hat Frankreich am 18. September 2008 das Übereinkommen ratifiziert. Mit Beitritt Frankreichs wird die vorgeschriebene Mindestanzahl von Vertragsstaaten für das Übereinkommen erfüllt. Es tritt damit am 1. Januar 2009 in Kraft.
Das Übereinkommen findet dann zunächst auf alle länderübergreifenden Fallkonstellationen zwischen den Vertragsstaaten Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien – dort allerdings nur für das Gebiet von Schottland - Anwendung.
Das Übereinkommen hat aber bereits jetzt Signalwirkung: Auf der Ebene des internationalen öffentlichen Rechts wird augenblicklich an einer Empfehlung gearbeitet, die für die Staaten rechtliche Vorgaben für Inhalt und Mindeststandards bei Vorsorgevollmachten und Vorsorgeverfügungen festlegt. Im Rahmen der Diskussionen wird immer wieder auf das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen verwiesen. Es wird daher damit gerechnet, dass der Beitritt Frankreichs eine Welle von weiteren Beitritten nach sich ziehen wird und das Erwachsenenschutzübereinkommen bald weltweit akzeptiert wird. Der (jeweils) aktuelle Stand der Vertragsstaaten kann auf der Website der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht mit Konventionstext abgerufen werden (www.hcch.net).
Ulrike Schwarz , Internationaler Sozialdienst
"Das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen" von Ulrike Schwarz
erschienen im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins: NDV 10/2008, S. 427-428